SAMEDI 25 SEPTEMBRE 2010 | SAMSTAG, 25. SEBTEMBER 2010
Meine Schulzeit in Genf
Schon vor Jahren hatten sich meine Eltern und ich entschlossen, dass ich Anfang der 10. Klasse eine Zeit lang alleine im Ausland verbringen soll. Als Ziel einigten wir uns auf Frankreich. Also haben wir zu Beginn dieses Jahres nach Möglichkeiten gesucht. Zuerst haben wir in Angers, einer Stadt an der Loire, unser Glück versucht: Wir kennen dort Leute, und ich habe sogar im Frühjahr die Schule besucht. Aber letztendlich ging es nicht, es gab einen Teufelskreis zwischen Schulleitung und irgendwelchen Behörden. Auch in anderen Städten war es schwierig bzw. unmöglich, einen Platz in einer Schule zu finden.
Fast wollten wir unseren Plan aufgeben, da kam dann doch meiner sogenannten Patentante die Idee, es in einem anderen französischsprachigen Land zu versuchen. Die einzige Möglichkeit war die Stadt Genf in der Schweiz, denn dort haben wir Freunde. Im großen Unterschied zu den französischen Schulen gab es von der schweizerischen Schule gleich ein entschlossenes „Ja“. Diese schöne Nachricht, daran kann ich mich erinnern, habe ich bekommen, als ich in New-York im Urlaub war.
Letztendlich ist es viel spannender eine Auslandserfahrung in einem für mich noch unbekannten Land zu machen. Obwohl die Schweiz fast zwischen Deutschland und Frankreich liegt, ist sie „so nah, und doch so fern“. Das Land ist in der Welt für seine Berge, seine Uhren, seine Banken, seine Schokolade und seinen Käse bekannt. Und tatsächlich ist man in Genf von Bergen umgeben, und es gibt überall Banken und Uhrenläden. Die Schweiz, das weiß fast jeder, ist auch so neutral wie möglich.
In Deutschland hat man dennoch in letzter Zeit eher ein schlechtes Image vom kleinen Alpenland. Der Grund: die Steuerhinterziehungen. Das ist ein kompliziertes Wort, es bedeutet aber nur, dass Leute (meistens reiche) ihr Geld in einer schweizer Bank anlegen, um weniger Steuern im eigenen Land bezahlen zu müssen. Tja, das alles ist eine ganze Menge für ein Land, das sehr hügelig ist und gerade mal acht Millionen Einwohner hat.
Die Schweiz ist schon seit ewigen Zeiten eine Republik mit einem wichtigen Merkmal, nämlich der Dezentralisierung. Das bedeutet, dass jedes Kanton (ein schweizer Bundesland) seine Vertreter hat. In der Schweiz gibt es vier offizielle Sprachen: Deutsch (75% der Schweizer), französisch (20% der Schweizer), italienisch (5% der Schweizer) und räto-romanisch (1% der Schweizer). Der offizielle Name - das, was für Deutschland „Bundesrepublik Deutschland“ ist - ist für die Schweizer „Confoederatio Helvetica“, der lateinische Name für Schweizerische Eidgenossenschaft. Daher kommt das Kürzel „CH“.
So, nun etwas über Genf. Wer sagt, dass Berlin oder Hamburg internationale Städte seien, der war noch nie in Genf! Im Zentrum leben zwar „nur“ 200.000 Einwohner, in der Umgebung 400.000, dennoch kann man Genf als Weltstadt bezeichnen. In Genf sind 45% der Einwohner Ausländer. Für viele große Unternehmen ist ein Sitz in Genf ein Muss. Genf ist Sitz von einem der vier UNO-Gebäuden der Welt, der Welthandelorganisation, des Roten Kreuzes, der Weltflüchtlingsorganisation und noch vielen mehr.
Genf ist dadurch aber auch eine sehr reiche Stadt. Und wenn es Reiche gibt, dann gibt es auch Arme, die Gruft zwischen den Reichen und den Armen ist sehr groß. Fast alle Leute, die ich kenne haben entweder ein iPhone oder ein Blackberry. Hier ist alles sehr teuer. Ein warmes Gericht in der Kantine kostet in meiner Schule mindestens 9 Franken, umgerechnet 7 Euro, im Französischen Gymnasium in Berlin kostet es 2,60 Euro.
Die Schule, die ich hier besuche, heißt „Collège Rousseau“. Rousseau ist ein Schrifsteller und Philosoph, der aus Genf stammt und dann nach Frankreich ging. Die Leute der Schule sind sehr gastfreundlich, was generell gilt, finde ich. In der Schule stammen viele aus Portugal, Spanien oder Kosovo. Ein bisschen nationalistisch geht es hier in Genf zu, die Schweizer sind sehr stolz darüber, Schweizer zu sein.
Jetzt kenne ich Genf immer besser, die Schweiz auch. Genf liegt ja am Genfersee, einem wunderbaren See. Einmal sind wir, meine Gastfamilie und ich, mit dem Auto von Genf bis Vevey, also vom Anfang zum Ende, gefahren. Ich bin zwar kein Freund von Panorama-Ansichten, aber das war einfach geradezu himmlisch. Dann konnte ich an einem "kantonalen Fest" teilnehmen.
Jedenfalls ist die Schweiz ganz anders als Deutschland, ein wirklich wunderschönes Land mit gastfreundlichen Leuten, aber auch mit seinen kleinen Macken.
Text: David
Zeichnungen: Alina
© Texte et images : Grand méchant loup - septembre2010
www.mechant-loup.schule.de