Alfred Grosser ist Franzose, aber auch ein bisschen Deutscher. Er schreibt und reist viel, und er lacht auch sehr viel. Alfred Grosser sagt uns, warum er kein Botschafter sein möchte, er erzählt auch ganz viele interessante Dinge über seine Kindheit als Flüchtling, über das, was er im Leben macht, über Bayern München und seine kleine Fußballmannschaft in der Bretagne. Und natürlich auch über Wölfe.
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Alfred Grosser: Meine Eltern sind weggegangen. Ich war acht Jahre alt, ich bin mit meinen Eltern und meiner Schwester mitgegangen. Mein Vater war Arzt, er war Leiter einer Klinik und Professor für Kinderheilkunde an der Universität in Frankfurt. Man hat ihm alles weggenommen, weil er Jude war. Wir sind am 19. Dezember 1933 in Paris angekommen, am 5. Januar 1934 bin ich zum ersten Mal zur Schule gegangen, ich war noch nicht neun.
Alfred Grosser: Ich konnte kein Wort Französisch.
Alfred Grosser: Nein, es war überhaupt nicht schwer, ich lernte es in drei Monaten. Es gab Lehrerinnen, die sich um mich kümmerten, mir Grammatik beibrachten, so habe ich wirklich sehr schnell gelernt.
Alfred Grosser: Ich wollte immer Lehrer werden, schon von ganz klein an. Meine ersten bezahlten Unterrichtsstunden habe ich als kleiner Junge gegeben, ich war neun. Mein Vater ist gleich nach unserer Ankunft an einem Herzschlag gestorben. Meine Mutter hat ein Kinderheim für andere Flüchtlingskinder aus Deutschland gegründet und ich habe ihnen Französisch beigebracht. Dafür habe ich Taschengeld bekommen. Mit neun Jahren bekam ich also mein erstes Gehalt als Lehrer. Es war 1934. Es ist ziemlich lange her.
Alfred Grosser: Oh, nicht viele: drei. Deutsch genau so wie Französisch und dann noch Englisch. Englisch mache ich Fehler, aber das ist nicht schlimm. Ich habe einen ungarischen Freund, der mir erklärte, dass nur die ersten fünf Sprachen schwer zu lernen wären. Danach kommen die sechste, siebente, die achte wie von selbst.
Alfred Grosser: Französisch und nicht Deutsch. Das war der größte Fehler in meinem Leben. Als meine Frau sah, dass ihr Mann ihr kein Deutsch beibrachte, ging sie zum Goethe-Institut, um Deutsch zu lernen.
Alfred Grosser: Oh, man kann immer mehr machen, aber ich finde, Deutsche und Franzosen verstehen sich gut und bei den Kindern und den Jugendlichen gibt es keine Probleme. Neulich war ich mit einer Gruppe junger Franzosen und Deutscher zusammen, und ich bin über eine Brücke über den Rhein gefahren, südlich von Straßburg. Auf dieser Brücke gibt es keine Polizei, es gibt keinen Zoll und man glaubt kaum, dass man von einem Land ins andere fährt. Und ich war deswegen ganz begeistert und zufrieden. Die Franzosen haben gesagt: "Et alors?", und die Deutschen haben gesagt: "Na und?", weil es für sie ganz normal war, dass es keine Grenze gibt zwischen Frankreich und Deutschland. Für sie gibt es da kein Problem. Und das, das funktioniert sehr, sehr gut.
Alfred Grosser: Französisch und nicht Deutsch. Das war der größte Fehler in meinem Leben.
Alfred Grosser: Franzose. Ganz und gar Franzose.
Alfred Grosser: Mein Beruf ist es, zu reden und zu schreiben. Ich schreibe viele Zeitungsartikel und habe auch viele Bücher geschrieben. Ich war Professor an der Universität, ich habe 1993 damit aufgehört. Nicht etwa, weil ich zu alt war, sondern weil ich dann viel reisen konnte und zu einem anderen Publikum reden konnte.
Alfred Grosser: Alles. Vor allem mit Gymnasiasten zu reden und Ideen zu bekommen. Ich verbringe gerne Zeit mit Schülern.
Alfred Grosser: Ja, im Allgemeinen spreche ich über Politik, ich spreche über Europa. Ich erzähle den Deutschen über Frankreich und den Franzosen über Deutschland.
Alfred Grosser: Nein, denn ich habe das Recht zu sagen, was ich will. Ein Botschafter muss vorsichtig sein mit dem, was er sagt. Was er sagt, muss übereinstimmen mit seiner Regierung, ich hingegen kann alles sagen.
Alfred Grosser:Ah, sehr gute Frage. Morgens stehe ich kurz vor fünf Uhr auf, und wenn ich dabei bin, ein Buch zu schreiben, dann um vier Uhr. So habe ich genügend Zeit für alles. Und abends habe ich ein Problem mit meiner Frau, die gerne spät ins Bett geht. Wenn meine Frau abends eine Versammlung hat, dann bin ich wohl der einzige Ehemann in Paris, in Frankreich oder in Europa, der sehr zufrieden ist, weil er um halb zehn schlafen gehen kann.
Alfred Grosser:Warum? Sehe ich etwa müde aus? Gut, das kann vorkommen und da ich kein Deutscher bin, mache ich keinen Mittagsschlaf.
Alfred Grosser: Ja, ich werde euch was sagen. Ihr kennt vielleicht die Bibel nicht gut genug. Ich bin da wie der liebe Gott, mit einem Unterschied: Er schaute am siebenten Tag sein Werk an und fand es gut. Ich denke das auch, aber er hat sich am siebenten Tag ausgeruht und ich nicht. Meine Frau ist nicht froh, wenn ich sonntags auch arbeite.
Alfred Grosser: Das kommt auf den Tag an. Ich habe auch gerne meine Ruhe, und ich höre sehr, sehr gerne Musik.
Alfred Grosser: Ich reise viel, ob ich es mag, hängt vom Land ab. Um Studenten zu unterrichten, war ich schon in China, Japan, Singapur, in den Vereinigten Staaten. Ich war nur einmal in Afrika, in der Elfenbeinküste. Afrika fehlt mir. Und bald fahre ich nach Riga.
Alfred Grosser:In Frankreich, in Paris.
Alfred Grosser:Ja, sehr. Also bin ich kein Deutscher.
Alfred Grosser: Langweiligen Menschen zuzuhören, dummen Reden zuzuhören, das finde ich langweilig. Wenn die zumindest noch sehr dumm sind, kann es lustig sein, aber wenn sie einfach nur blöd sind, ist es öde.
Alfred Grosser: Leider nicht. Das ist auch ein sehr großer Schwachpunkt in Frankreich: Musik wird dort in den Schulen nicht genügend unterrichtet.
Alfred Grosser: Also, ich mag Sport in doppelter Hinsicht, zunächst als Leser einer sehr großen französischen Zeitung, sie heißt «L'équipe» und ich lese sie jeden Morgen. In Deutschland erreicht überhaupt keine Sportzeitung dieses Niveau. Dann habe ich selber Sport getrieben, wenn auch nicht sehr viele Arten. Ich habe mal Basketball gespielt, viel Tischtennis und ich bin Rad gefahren, aber nicht im Wettkampf, sondern nur zum Vergnügen.
Alfred Grosser: Ja, ich mag meine kleine Mannschaft in der Bretagne, weil sie aus Leuten aus der Gegend besteht. Aber in so einer Mannschaft wie Arsenal, dieser großen britischen Mannschaft, gibt es keine Engländer und so was finde ich nicht gut. Genauso wie ich weder die Pariser Vereine noch Bayern München mag.
Alfred Grosser: Ich habe kein Lieblingsbuch, aber eins lese ich immer wieder. Ich habe es schon gelesen, als ich noch in Deutschland lebte. Ich war acht, also ein bisschen jünger als ihr. Es ist ein deutsches Buch und ich lese es jedes Jahr wieder, es heißt "Der Junge, der seinen Geburtstag vergaß". Es ist überhaupt keine Indianergeschichte: Als Deutschland 1918 besiegt wurde, stand im Friedensvertrag, dass man den Schädel des schwarzen Häuptlings Makaua zurückgeben musste, den die Deutschen, so erzählte man, an sich genommen hatten. Und wegen dieses Schädels hätten, so erzählte man weiter, Zehntausende Afrikaner an der Seite Frankreichs gekämpft. Die Geschichte zeigt, dass die Gründe, weshalb man sich bekämpft, manchmal falsch sind. Es ist ein Buch gegen den Krieg.
Alfred Grosser: Wir lesen unseren Enkelkindern immer noch dieselben Kinderbücher vor. Vielleicht habe ich wegen Babar lange Elefanten geliebt. Ich weiß nicht, ob ihr "Babar" gelesen habt, es ist aber ein sehr wichtiges Buch für das Leben. Der Elefantenkönig Babar, mit der Königin Céleste und der kleine böse Arthur.
Alfred Grosser: Vielleicht Katzen. Auf keinen Fall Krokodile.
Alfred Grosser: Im Zoo ja.
Alfred Grosser: Ach nein, weil man mir nicht viele Geschichten von Wölfen erzählte. Es gibt selbstverständlich den großen bösen Wolf, aber vor ein paar Jahren wurde in Frankreich eine sehr schöne Kindergeschichte geschrieben, die "Die drei kleinen Wölfe und das große böse Schwein" heißt.
Alfred Grosser: Ja, man hat es umgedreht. In den Geschichten sind die Wölfe oft böse. Im Grunde ist es nur der Mensch, der zum Spaß tötet. Die Tiere töten im Prinzip nur, um etwas zu essen zu haben.
Alfred Grosser: Als ich in eurem Alter war, bin ich zu den Wölflingen gegangen, so nennt man die kleinen Pfadfinder in Frankreich. Ich war in der Gruppe der falbenfarbigen Wölfe, es gab noch weiße Wölfe, graue Wölfe, falbenfarbige Wölfe, dort war ich vier Jahre lang. Ich denke bei Wolf also an meine Zeit als Wölfling. Seht ihr, ich war noch vor euch ein kleiner Wolf.
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