Nadège ist Briefträgerin in Clermont-Ferrand. Sie erzählt uns über ihren Alltag.
Briefe sortieren
Wie sieht ein Arbeitstag aus?
Wir fangen mit dem Briefsortieren an. Eine Stunde lang sortieren wir die Briefe für unsere Stadt und dann je Stadtviertel. Danach nimmt jeder Briefträger die Briefe für sein Viertel und sortiert sie noch einmal seiner Tour angepasst nach Straßen.
Um wie viel Uhr beginnen Sie?
Um 6 Uhr15. Normalerweise arbeite ich bis zwölf Uhr dreißig / halb eins. Eigentlich machen wir Schluss, wenn wir fertig sind, manchmal früher, manchmal später.
Leeren Sie auch die Briefkästen?
Nein. Nur wer nachmittags arbeitet, kümmert sich um die Briefkastenleerung. Die Briefe, die wir sortieren, bekommen wir in großen Plastiksäcken.
Gibt es manchmal besonders schöne Briefe?
Ja, manchmal sind es richtige Kunstwerke. In meiner Stadt gibt es eine junge Frau, die Comics zeichnet. Ich habe einmal einen Umschlag voll von ihren Zeichnungen erkannt. Manchmal gibt es Kinder, deren Vater oder Mutter im Gefängnis sitzen. Sie schicken Briefe voll Zeichnungen. Es ist rührend.
Auf dem Briefumschlag?
Ja, auf dem Briefumschlag. Es gibt oft Herzen oder nachgemachte Walt-Disney-Zeichnungen, oft Prinzessinnen…….
Besondere Briefe und CEDEX
Werden die Briefe für das Gefängnis beiseitegelegt?
Ja, beim Sortieren lege ich sie zu den Cedex.
Was sind Cedex ?
CEDEX bedeutet « Courrier d’Entreprise à Distribution Exceptionnelle ». Es ist ein Sonderdienst der französischen Post. Die Firmen bezahlen etwas, um die Post immer um dieselbe Zeit zu erhalten. Ihr kennt das, manchmal kommt der Briefträger um 9 Uhr, manchmal um 14 Uhr. Große Firmen oder Verwaltungen – auch Gefängnisse, Schulen, Unis usw. bekommen viel Post und brauchen diese früh, um sie weiter zu verteilen. Deshalb bezahlen sie einen Extradienst.
Unterwegs
Wie sind Sie unterwegs?
Mit dem Fahrrad.
Gibt es spezielle Fahrräder für Postboten?
Inzwischen gibt es ein paar Elektrofahrräder, die das Leben erleichtern. Da, wo ich arbeite, geht es hoch und runter. Die Post wiegt auch schwer, also ist es mit dem Rad anstrengend. In Deutschland sind die Fahrräder für Postboten anders als in Frankreich. Sie haben zusätzlich zwei kleine Stützräder, damit können sie von allein stehen. Das ist toll!
Die Tour
Tragen Sie eine Uniform?
Ja, wir haben eine Uniform mit dem Logo der Post. Die Farben sind gelb und dunkelblau. Ein bisschen wie in Deutschland. Nur das Gelb ist anders und in Deutschland ist es sehr dunkelblau, fast schwarz.
Wie lange dauert eine Tour?
Zweieinhalb bis drei Stunden.
Verteilen Sie jeden Tag dieselbe Anzahl Briefe?
Nein. Am Wochenende gibt es ein bisschen weniger Post.
Wie vielen Häusern entspricht es ungefähr?
Die habe ich nicht gezählt! Man kann sie auch schlecht zählen, denn manchmal sind das Hochhäuser, manchmal Firmen...
Haben Sie alle Hausschlüssel?
Eigentlich haben wir so etwas wie einen Generalöffner. Es ist ein Schlüssel, den man in die Gegensprechanlage steckt und damit die Tür öffnet. Sonst gibt es auch eine Chipkarte, die man vor einem großen schwarzen Punkt hin und her schiebt und die auch Türen öffnet.
Und es ist derselbe Schlüssel für alle Gebäude?
Ja.
Verlorene Post und Pakete
Haben Sie schon Briefe verloren?
Ja, einmal. Ich habe mal einige Briefe auf der Straße sortiert. Dabei ist mir ein Brief verrutscht und in eine Spalte des Gebäudes gefallen. Ich ging nach unten in die Garage, in der Hoffnung, ihn wiederzufinden. Der Hausmeister sagte aber zu mir, man wird den Brief erst wiederfinden, wenn das Gebäude abgerissen wird.
Sind die Adressen im Allgemeinen gut leserlich?
Nein, sehr oft sind die Adressen schwer zu lesen. Doch durch das ständige Sortieren der Briefe für die ganze Stadt erkennt man einige Adressen, einige Straßen. Man ahnt, es müsste dort sein und dann probiert man es. Aber ab und zu ist es falsch und der Brief kommt zurück.
Wer kümmert sich um die problematische Post?
Die Leute, die im Lager arbeiten. Sie sortieren noch einmal die ganze Post, die nicht zurück zum Absender gehen kann. Sonst geht diese übriggebliebene Post und auch Pakete nach Libourne, einer Stadt im Südwesten Frankreichs. Dort werden sie in einem großen Gebäude gelagert. Wenn keiner sie reklamiert, werden die Pakete nach ein paar Jahren versteigert.
Kann man reklamieren, wenn ein Brief nicht ankommt?
Ja, natürlich. Wenn du deine Adresse als Absender geschrieben hast, kommt er zu dir zurück. Sonst gibt es eine Suche, um ihn wiederzufinden.
Zum Schluss
Haben Sie auch Freunde unter den Postboten?
Ja, viele! Von Montag bis Samstag verbringen wir nicht viel Zeit zusammen, nur eine Stunde früh am Morgen beim allgemeinen Sortieren. Wir sehen uns jedoch – wenn auch kurz – jeden Tag, also 6 von 7 Tagen in der Woche. Da wir nach der Tour frei haben, gehen wir ab und zu zusammen essen, wenn wir mittags fertig sind. Wir sind schon stark verbunden.
Ist man trotzdem viel allein?
Einerseits ja, anderseits trifft man viele Leute. Durch die Postboten-Uniform kommt man leicht mit Leuten in Kontakt. Sie bieten uns einen Kaffee an, sie geben uns Obst oder Gemüse aus ihrem Garten... Clermont-Ferrand ist keine riesige Stadt. Ich arbeite in einem Viertel mit vielen Rentnern, sie leben oft allein, der Postbote ist eine wichtige Person für sie. Es ist also supernett, wenn ein Kaffee und ein Korb voll Kirschen für mich bereit stehen. Ich glaube nicht, dass so etwas in Großstädten wie Berlin oder Paris möglich ist. Es ist bestimmt unpersönlicher.
Interview: Chloe, Clara, Emil und Zoe
Zeichnungen: Chloe, Clara und Anastasia
Text/Zeichnungen: © Grand méchant loup | Böser Wolf
Sehr oft sind die Adressen schwer zu lesen