Ich versuche, ein gutes Vorbild zu sein
für junge Frauen im Auswärtigen Amt

Ein Interview der Kinderreporter des Bösen Wolfes mit Susanne Wasum-Rainer,

der deutschen Botschafterin in Paris

 

Wie haben Sie Französisch gelernt?

Ich habe es im Laufe des Lebens gelernt. Man muss ein bisschen Französisch können, um beim Auswärtigen Amt zu arbeiten. Ich habe es in der Schule gelernt, und dann natürlich seitdem ich auf Posten in Frankreich bin. Es ist eine wunderschöne Sprache, die ich immer gerne gehabt habe und die mich sehr interessiert. Sie ist ein großer Öffner in eine unglaubliche Kultur. Es ist mir mehr als eine berufliche Notwendigkeit: es ist eine Schatzkiste.

<- Das Schild vor der deutschen Botschaft in Paris



Hatten Sie einen besonderen Bezug zu Frankreich, bevor Sie dort als Botschafterin ernannt wurden?

Einen besonderen Bezug zu Frankreich hat, glaube ich, jeder, der im Auswärtigen Amt in Deutschland ist. Wir haben da die Regel, dass jeder, der irgendeine Funktion im Auswärtigen Amt hat, immer sofort seinen Homologen (= den entsprechenden Kollegen, Anm. d. Red.) in Frankreich trifft und kennenlernt. Weil man sich in allen Themen mit Frankreich abstimmt. Ich habe auch sehr starke persönliche Beziehungen nach Frankreich gehabt, schon durch meine Großeltern und Eltern.

 

Was waren das für Beziehungen?
Seit ich denken kann, gab es viele Kontakte zu Frankreich. Meine Großeltern zum Beispiel hatten sehr freundschaftlichen Beziehungen zu den damaligen französischen Soldaten in der Besatzungszone in Rheinland-Pfalz. Mein Vater ist Winzer, er hat seine ganze Ausbildung und Erfahrungen in Frankreich gemacht. Meine Eltern haben sich ganz stark für deutsch-französische Partnerstädte engagiert, wir hatten ein Ferienhaus in Frankreich. Es gibt also wirklich viele Faktoren, warum ich mich beruflich und privat eng mit Frankreich verbunden fühle. Als ich so jung war wie ihr jetzt, war ich sehr fasziniert von dem Satz von Konrad Adenauer, dass Deutschland sich versöhnen muss mit den Ländern, über die es so viel Leid im Zweiten Weltkrieg gebracht hat. Es war die einzige Möglichkeit, wieder in die Familie der zivilisierten Staaten aufgenommen zu werden. Polen, Israel, aber auch Frankreich hat er dabei genannt. Dieser Satz war sicherlich ein Grund dafür, warum ich mich entschieden habe, Diplomatin zu werden. Und jetzt bin ich hier Botschafterin.

 

Was verbinden Sie persönlich mit dem Ersten Weltkrieg – sprach man in Ihrer Familie darüber?

Persönlich verbindet mich mit dem Ersten Weltkrieg nicht viel. Ich kann mich nicht an Gespräche über den Ersten Weltkrieg erinnern. Der Zweite Weltkrieg war auch in meiner Familie ein so dominantes Thema, dass ich selbst nicht über diese große Hürde geschaut habe. Zeitzeugen und Erzählungen gab es nicht. Ich habe viel Literatur gelesen. Aber seit ich in Frankreich bin und auch um die Bedeutung des Ersten Weltkriegs in der französischen Gedenkkultur weiß, habe ich mich hier mehr damit befasst.


Fällt Ihnen eine Geschichte dazu ein?

Ich kann mich an keine Geschichte aus meiner Familie erinnern, aber es gibt in dem Städtchen, in dem ich aufgewachsen bin, ein Memorial, einen Stein, auf dem die Namen eingetragen sind. Es war aber für mich immer Geschichte… Und hier in Frankreich, wo praktisch jede Familie noch etwas vom Ersten Weltkrieg erzählen kann, da bestürzt es mich zu sehen, wie weit weg das von mir ist. Ich weiß gar nicht, was der Generation meiner Großeltern und Urgroßeltern während des Ersten Weltkriegs widerfahren ist.

 


Was ist der Grund dafür, dass man in Deutschland über den 100. Jahrestag des Beginns vom Ersten Weltkrieg nicht so viel redet wie in Frankreich?
Die Verantwortung Deutschlands für den Zweiten Weltkrieg ist offensichtlicher. Ich glaube, der Zweite Weltkrieg und das Grauen, das mit der Shoah durch Deutschland über die Welt gebracht wurde, haben in der Erinnerungskultur so eine Bedeutung erlangt, dass der andere Krieg dahinter zurücksteht. Für Frankreich hat der Zweite Weltkrieg eine schwierige Bedeutung: das Land war besetzt, es war geteilt, es gab die Kollaboration. Im Gedenken ist der Zweite Weltkrieg für Frankreich schwieriger, aus anderen Gründen als für Deutschland. Die große Bedeutung des Ersten Weltkriegs hat ein schwereres Gewicht erhalten.


Haben die Deutschen und die Franzosen generell eine andere Sicht auf den Ersten Weltkrieg?
Zuerst war es so. Für Frankreich war es klar, dass man für den „Centenaire“ etwas ganz Großes macht, dass eine große Gedenkveranstaltung stattfindet. In Deutschland hat es ein bisschen gedauert, dann sind aber - nicht unbedingt durch den Staat, sondern durch die Zivilgesellschaft - unendlich viele Erinnerungsprojekte über den Ersten Weltkrieg entstanden. Frankreich war sicherlich sehr viel weiter, sehr viel präsenter in der Art, wie man sich erinnert.

 

2014 ist ein besonderes Jahr mit vielen Jahrestagen: 1914-1939-1945-1989 – ist es ein Anlass zu mehr Völkerverständigung zum Beispiel? Was bedeutet es für Sie als Botschafterin eines Landes, das früher auf der „anderen“ Seite stand?


All diese Gedenkjahre, an die wir 2014 erinnern, zeigen mir, was für enorme Erfolge wir in den deutsch-französischen Beziehungen erreicht haben. Was für ein unglaubliches Modell die deutsch-französische Partnerschaft und Freundschaft für die Welt sind, und wie stolz wir in Europa sein müssen und können, auf das, was wir geschafft haben. Auf der Grundlage von zwei Weltkriegen haben wir einen Raum geschaffen, die Europäische Union, wo wir das Gefühl einer wirklich befriedeten, befreundeten Region haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass man nicht sagen kann, wir wollen Europa oder wir wollen das nicht. Europa ist unser gemeinsames Schicksal, das tollste, das schönste Projekt, das die Weltgeschichte kennt. Und das lohnt, sich dafür einzusetzen. Ich glaube, wir sind nicht stolz genug auf Europa.

 

Die deutsch-französische Freundschaft ist das Rückgrat der Europäischen Union. Inwiefern könnte man die deutsch-französische Freundschaft verbessern?
Wir haben zwei verschiedene Wirtschaftssysteme und so müssen wir auch auf verschiedene Art und Weise die Probleme lösen. Es stimmt nicht, dass der deutsch-französische Motor stottert. Die Probleme, die wir heute haben, sind nicht schwieriger als jene vor 10 oder 20 Jahren. Wir sind aber nicht mehr bereit, uns Mühe zu geben. Alles muss leicht und einfach sein. Um Kompromisse zu finden, muss man sich anstrengen. Ich finde es gut, dass wir unterschiedliche Systeme haben. Denn Kompromisse mit jemandem zu schließen, der eine ganz andere Meinung hat, das macht die Stärke aus. Und dadurch können wir ein Beispiel sein für die anderen europäischen Staaten. Es gibt nicht mehr die Krise des Anderen: Wenn es Frankreich schlecht geht, dann kann es auch Deutschland nicht gut gehen.

 

Als Frau sind Sie unter den Botschaftern ziemlich alleine. Ist es für eine Frau im diplomatischen Dienst schwieriger als für einen Mann? Oder hat es vielleicht sogar Vorteile?
Ich glaube, es ist für alle gleich. Man hat als Mann Vorteile, aber man hat auch als Frau Vorteile. Ich glaube, es kommt auf die Persönlichkeit an. Jeder macht das anders, egal ob Mann oder Frau. Und das ist das Schöne am Wechsel von Botschaftern; in jeder neuen Phase gibt es neue Ideen und Änderungen. Dynamik ist immer gut für die Entwicklung von Beziehungen.

 


Setzt man sich als Frau in einer Führungsposition mehr für Gleichberechtigung ein als ein Mann oder gibt es da keinen Unterschied?

Ich setze mich dafür ein, dass Kolleginnen oder Kollegen, von denen ich glaube, dass sie ihre Aufgaben gut erfüllen, gefördert werden. Und ich freue mich, wenn ich eine andere Frau sehe. Aber ich freue mich auch, wenn ich einen guten Kollegen sehe. Ich versuche, ein gutes Vorbild zu sein für junge Frauen im Auswärtigen Amt: Dass sie sehen, man kann als Frau eine große Botschaft wie die in Paris ebenso gut leiten - hoffe ich - wie alle meine Vorgänger es getan haben.

 

Susanne Wasum-Rainer mit Ulysse und David, unseren

großen bösen Wölfen, die jetzt unsere Korrespondenten

in Paris sind.

 

Interview: David und Ulysse (Schülerrredaktion Grand méchant loup)

Zeichnungen: Alina, Gaїa, Felix und Ulysse (Schülerredaktion Grand méchant loup)

Foto: Grand méchant loup

© Grand méchant loup | Oktober 2014