"Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt„
Ein Interview mit Renate Künast, Fraktionsvorsitzende der Grünen
Sind Sie in der Stadt oder auf dem Land aufgewachsen?
In Recklinghausen, einer Stadt im Ruhrgebiet.
Ich bin 1955 geboren, und damals gab es noch
viel Kohlezechen, also Verarbeitung von Kohle
mit viel Rauch und Qualm. Wir sind oft draußen gewesen, und wir hatten
immer einen Garten. Mein Vater hat uns „freiwillig
gezwungen“, Sonntag-spaziergänge auf
dem Land zu machen und hat alles abgefragt,
was es auf dem Acker gab. Und so, als ich später
Ministerin wurde, haben sich viele gewundert,
warum ich aus der Stadt komme, aber sofort
weiß, was ist Roggen, was ist Gerste.
Mochten Sie die Schule, als Sie so alt wie wir waren?
Jein, muss ich sagen, ich fand es anstrengend, dass ich ein paar strenge Lehrer hatte. Als ich so alt war wie ihr, habe ich angefangen mir zu überlegen, wie ich nach der Realschule noch weitermachen kann. Meine Mutter hat immer gesagt „Du könntest eine schöne Banklehre machen“. Ihr Bild von mir war: grauer Faltenrock, ein paar Locken in den Haaren und ein feiner Bürojob. Und ich habe bei der Vorstellung, in der Bank zu arbeiten - immer ganz nett und vornehm, immer Etepete – gedacht: „Nee, das bist du nicht!“. Also, ich habe überlegt, zur Kripo zu gehen. Nicht wegen der Waffen, sondern wegen dieser Spannung: etwas Kompliziertes zu haben und mit anderen zusammen den Täter finden.
Was war Ihr Lieblingsbuch als Kind?
Pippi Langstrumpf. Warum? Weil sie einfach so frech war und sich von den Erwachsenen nicht hat knechten lassen... Ich kann euch eine Empfehlung geben, es gibt die Ur-Pippi. Astrid Lindgren hat damals dieses Buch geschrieben, als ihre Tochter krank war, und Geschichten hören wollte. Die erste Version war viel frecher als die spätere.
Haben Sie es schwer in der Politik als Frau eine hohe Funktion zu haben?
Du hast es erkannt, ja wirklich! Am Schwierigsten ist es nicht, wenn du oben bist, sondern am Schwierigsten ist es, wenn du unten bist und sagst: „Ich will auch“. Ihr werdet es vielleicht auch an der Schule merken, dass schon Frauen und Männer, aber auch Jungs und Mädchen,anders sozialisiert sind,
[bedeutet: andere Werte und Normen, andere Interesse... haben, NdR] eine andere Art manchmal haben. Ich glaube, dass selbst emanzipierte Männer den Frauen nicht alles zutrauen. Also man muss sich schon durchbeißen. Manchmal ist es so, dass selbst Frauen immer noch denken, sie müssen mit dem anderen so lange reden, bis er auch das gleiche glaubt wie du.
Warum und wer hat die Grünen gegründet ?
Anfang der 70er gab es viele junge Leute - Lehrlinge, Schüler, Schülerinnen, Studentinnen -, die sich mit
ganz vielen Umweltfragen, Atomenergie oder Naturschutz, auseinander gesetzt haben und die gesagt haben, die SPD, die CDU reden darüber nicht. Sie sagen, alles immer toll, schafft Arbeitsplätze, und fragen sich nicht, was in zehn Jahren, was aus dem Müll wird. Ja, und das Ergebnis war, dass wir eine eigene Partei gründen mussten.
Und woher kommt der Name?
Und damals waren sie richtig stolz, dass sie sich diesen Namen „die Grünen“ ausgedacht haben. Das war dann die einzige Partei, wo der Name das ganze Programm ausdrückt. Früher haben wir diesen Programm ausdrückt. Früher haben wir diesen Indianerspruch gehabt: „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.“ Das heißt, ich muss heute mit der Erde sorgfältig umgehen, weil ich sie quasi von euch geborgt habe, so dass ich sie euch Kindern nachher in gutem Zustand übergeben muss.
Renate Künast interviewt von Sidney, Alina, David und Emilia
Sie waren Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Hat es Ihnen gefallen?
Wunderbar, es war das Beste, das ich als Amt bisher hatte, kann ich heute sagen. Das war schwierig, anstrengend, aber man kann schon eine ganze Menge bewegen und verändern. Es ist nicht so, dass man wie ein König mit einem Zepter ist, und sagt, so, das wird jetzt gemacht. Man muss schon Gesetze entwickeln und sie in den Bundestag einbringen. Dann muss man noch wissen, dass man als Bundesministerin sehr viel in Brüssel zu tun hat. Denn mittlerweile werden ganz viele Entscheidungen, zum Beispiel bei Lebensmitteln und Landwirtschaft, gar nicht mehr allein in Deutschland getroffen, sondern in Brüssel, wenn sich alle Agrarminister der 27 europäischen Staaten treffen. Und dann werden Beschlüsse gefasst, die für jedes Land gelten und da ist es schon richtig spannend. Die Europäische Union hat über 550 Millionen Einwohner. Wenn du in der Runde von Ministern jemand bist, der für Umweltschutz kämpft, und es gilt dann, ist es schon ein gutes Gefühl.
Warum fahren Sie nicht immer Fahrrad statt Auto?
Im Winter ist es mir zu kalt ehrlich gesagt. Wenn es eisig draußen ist, oder wenn es regnet und sonst wie, und ich halte eine Rede im Bundestag, dann möchte ich gerne, dass noch ein Rest von meinen Klamotten beieinander ist, wenn ich da ankomme. Ich habe Aktentaschen oder alles Mögliche. Ich gehe morgens von zu Hause los, gehe erst Mal zum Bundestag, dann fahre ich irgendwo in Deutschland herum und habe da Termine und komme am nächsten Tag erst wieder. Ich habe also einen kleinen Rollkoffer dabei, mit meinem kleinen Laptop, Kleidung für den nächsten Morgen, Zahnpasta und dies und das, das schleppe ich nicht auf dem Fahrrad rum.
Mögen Sie gern Fußball?
Fußball mag ich insbesondere, wenn ich auf der Tribüne oben
stehe und sehe wie die Nationalmannschaft sich abmüht. Egal ob Frauen oder Männer.
Was gibt Ihnen Kraft im Leben?
Ich glaube, ein Teil von seiner Kraft muss man in sich selber haben und da weiß ich auch nicht, woher es kommt. Es ist einfach so ein Gefühl, ich habe bestimmte Werte und Regeln. Ich habe ein Gefühl dafür für mich, was ist gerecht, was ist ungerecht, und ich sage auch, man darf da nicht einfach schweigen. Das hat einen Bezug zu meinen Eltern und Tanten und Onkeln früher, die [über die Vernichtung der Juden, NdR.] gesagt haben, „Das haben wir nicht gewusst“. Das Gefühl, dass wir
viele sind, gibt mir auch Kraft.
Wovor haben Sie am meisten Angst? Vielleicht vor Umweltkatastrophen?
Schon. Es gibt zwei Ebenen. Am meisten Angst
macht mir, dass du draußen eine Umweltkatastrophe
erlebst, so wie Tschernobyl oder auch wie
bei dem Klimawandel. Und privat, ich glaube,
dass wovor sich alle fürchten, dass man Leute
verliert, die einem am Liebsten sind.
Was können Sie nicht leiden bei einem Menschen?
Unehrlichkeit. Oder wenn Leute so tun, als würde man sich gut verstehen und hinten herum machen sie es anders. Kann ich nicht leiden.
Haben Sie Hobby?
Ja Garten, Garten, Garten. Bücher. Kochen.
Interview: Emilia, Alina, Sidney und David
Zeichnungen: Ladivine, Alina, Coralie und Alica
Text & Fotos: © Grand méchant loup | Böser Wolf – Mai 2009 - www.boeser-wolf.schule.de