Wir sind eine Insel, durch Wasser getrennt

vom Rest Europas

Ein Interview der Kinderreporter des Bösen Wolfes mit dem deutschen Botschafter in London, Wolfgang Ischinger.

 

Warum wollten Sie Botschafter werden?

Weil ich schon als Schüler und dann später als Student die Chance hatte, Zeiten im Ausland zu verbringen. Als Schüler hat mich schon die Frage fasziniert: kann man eigentlich einen Beitrag dazu leisten, dass die Menschen in den verschiedenen Ländern sich nicht missverstehen oder sogar Kriege gegeneinander führen. Dann hat irgendein kluger Mensch mir gesagt, wenn du das wirklich ernsthaft nach deinem Studium machen möchtest, dann ist der Beruf des Diplomaten genau das Richtige. Ich bin sehr froh, das macht sehr, sehr viel Spaß.

Sie haben auch in den USA gelebt. Ist Großbritannien näher an Europa oder näher an den USA, allein durch die Sprache ?

Durch die Sprache ganz sicherlich sehr nahe an den USA, durch die Geographie zunächst mal viel näher an Europa. Aber man stellt fest, dass viele Engländer selber das Gefühl haben, dass sie ungefähr auf halbem Weg im Atlantik leben, irgendwo genau in der Mitte zwischen Europa und Amerika. Wir denken, die Engländer, die Briten gehören eigentlich zu uns und sollten sich ganz zu Europa bekennen. Aber sie denken selber von sich, dass sie so eine Art Brücke sind zwischen uns in Europa und den Amerikanern.

Kommt das durch die Lebensweise?

Naja, also beim Essen ist es so, dass man sich eigentlich nur wünschen kann, dass nicht allzu viele Länder sich Großbritannien als Vorbild nehmen, weil die englische Küche traditionell nicht gerade die tollste in der Welt ist. Ihr seid ja am Französischen Gymnasium, da kann ich sagen, ist die Welt bestimmt besser gesegnet durch die Übernahme von französischen Rezepten als von englischen Kochrezepten, wenn man es mal ganz allgemein formuliert. Die englische Lebensweise ist natürlich auch sehr, sehr eng verwandt mit der amerikanischen Lebensweise, weil Amerika in mancher Hinsicht ja so eine Art von Tochter oder Enkel von England ist. Amerika war ja zunächst mal eine englische Kolonie. Dann haben sie gesagt, nee, wir sind doch selber wer. Sie haben eine Revolution angefangen und haben sich unabhängig erklärt. Aber über Hunderte von Jahren gehörten England und Amerika zusammen. Deswegen ist die Lebensweise der Menschen nicht nur wegen der Sprache sondern auch wegen dieser über viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte gemeinsamen Geschichte schon sehr eng miteinander verbunden.

In der Europäischen Union, braucht man da wirklich noch Botschaften?

Das ist eine sehr gute Frage. Wenn du die Frage mir stellst als einem Menschen, der sein Geld als Botschafter verdient, dann lautet die Antwort natürlich ja. Aber es ist genauso richtig, dass der Beruf eines Botschafters innerhalb der Europäischen Union heute ein ganz anderer ist als der Beruf eines Botschafters in einem Land außerhalb der Europäischen Union. Die Länder innerhalb der Europäischen Union arbeiten schon so eng zusammen, dass manche der klassischen Aufgaben eines Botschafters oder einer Botschaft heute gar nicht mehr notwendig sind.

Warum sind die Briten eher skeptisch der EU gegenüber?

Weil die Briten sehr praktische Menschen sind. Die können vergleichsweise weniger als die Deutschen mit so großartigen abstrakten Begriffen anfangen wie „europäische Integration“ oder „europäische Verfassung“. Hier sagt man, wir wollen es gerne konkret und praktisch haben. Was genau tut die EU, was mein Leben erleichtert und verbessert? Wenn man diese Frage positiv beantworten kann, dann bin ich für die EU. Wenn es hier nur um Gedanken und Philosophie geht, dann ist es sehr schwer, dafür Begeisterung in Großbritannien zu wecken.

Nehmen Sie hier ein englisches Frühstück und in Amerika ein amerikanisches Frühstück?

Bei mir ist es so, wenn ich alle Mahlzeiten essen würde, die ich in meinem Beruf so angeboten kriege, dann würde ich inzwischen mindestens 100 Kilo wiegen. Also heute früh z. B. hatte ich Gäste zum Frühstück. Das war ein englisches Frühstück. Da gibt es erst Joghurt und Früchte und Müsli und dann gibt es Rühreier, dann gibt es noch Wurst und Käse, also ein Riesenfrühstück. Aber morgen früh z. B. habe ich kein Frühstück, dann trinke ich nur drei Tassen Kaffee und ein Glas Orangensaft und sonst gar nichts, um das wieder ein bisschen auszugleichen. Sonst müsste ich mir jedes Jahr neue und weitere Anzüge kaufen.

Wovor haben Sie am meisten Angst?

Da kann ich zwei Dinge nennen. Ich habe als Diplomat große Angst davor, dass der Hass in der Welt zwischen islamischen Fundamentalisten und der europäischen westlichen Welt noch weiter zunimmt. Davor habe ich wirklich Angst, weil das unseren Beruf, nämlich Konflikte zu vermeiden, zu beseitigen, noch viel schwerer machen würde. Aber ich habe auch Angst vor ganz kleinen Dingen. Ich habe z. B. ständig wahnsinnige Angst davor, dass meine 2 ½ jährige Tochter in diesem riesigen Treppenhaus irgendwann einmal durch die Stäbe schlüpft und da herunterfällt. Meine Vorgänger hatten ältere Kinder. Ich bin der erste Botschafter hier, der ein ganz kleines Kind hat.

 

Interview:

Zeichnungen:

Text, Zeichnungen und Fotos: © Böser Wolf | Grand méchant loup

2007