„Wir in Europa können viel voneinander lernen“
Ein Interview der Kinderreporter des Bösen Wolfes mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments Hans-Gert Pöttering
<- Fotos: Grand méchant loup | Böser Wolf e.V.
Herr Pöttering, sind Sie so etwas wie der Chef in der Europäischen Union?
Nein, das kann man wohl so nicht sagen. Als Präsident des Europäischen Parlaments muss man immer die Mehrheitsmeinung des Parlaments vertreten. Das heißt, ich kann nichts befehlen, und wenn meine persönliche Meinung von der Mehrheitsmeinung des Parlaments abweicht, dann muss ich das mal sagen, sonst kriege ich ziemlich schnell Konflikte. Aber als Präsident des Europäischen Parlaments hat man die Chance, durch Überzeugen andere für diese Ideen zu gewinnen. Und das ist nicht Chef oder Boss, sondern das bedeutet Gespräche und andere überzeugen.
Sitzt man vor allem am Schreibtisch, wenn man Präsident des Europäischen Parlaments ist?
Eigentlich nein, ich muss viel reisen.
Reisen Sie lieber mit dem Zug oder mit dem Flugzeug?
Am liebsten würde ich mit dem Zug reisen. Aber leider erlauben die langen Entfernungen das nicht. Um euch ein Beispiel zu sagen, gestern morgen bin ich um 10 Uhr in Brüssel losgeflogen, war dann an einer Fernsehveranstaltung beteiligt, und bin dann um 13 Uhr nach Brüssel zurückgeflogen. Um 15 Uhr war die Parlamentssitzung, es war ganz knapp, ich war eine Minute vor drei da, wir hatten eine feierliche Sitzung. Es war eine feierliche Sitzung zum Europatag mit zwölf Nobelpreisträgern. Dann war ich bis zum Abend, einschließlich Abendessen, beschäftigt.
Kennen Sie jetzt alle Länder der EU?
Ich bin in allen Ländern der Europäischen Union gewesen, falls ihr das meint. Aber ein Land richtig zu kennen ist sehr anspruchsvoll. Da muss ich immer noch dazu lernen.
Warum eigentlich ist die europäische Flagge blau mit gelben Sternen?
Die zwölf Sterne haben eine symbolische Wirkung, das kommt aus dem Judentum. Zwölf war so eine Art heilige Zahl. Sie symbolisiert die Vollendung, es gab zwölf Apostel, auf jeden Fall nimmt man das an. Und man hat sich dann irgendwann mal entschieden, dass man diese zwölf Sterne als das Symbol Europas nimmt, und diese Zahl ändert sich mit der Anzahl der Mitgliedschaft der Europäischen Union nicht.
Wissen Sie, wie die Europa-Hymne geht?
Wie die geht? Ja! Ich kann sie dir jetzt nicht vorsingen, aber die Melodie kenne ich schon.
Was denken Sie über den EU-Beitritt der Türkei?
Da muss ich etwas unterscheiden zwischen meiner eigenen Meinung und der Meinung des Europäischen Parlaments. Wie ich vorhin sagte, bin ich kein Chef, der Befehle erteilt. Die Mehrheit des Europäischen Parlaments möchte die Mitgliedschaft der Türkei. Man verhandelt jetzt mit ihr, und dann sieht man, ob diese Verhandlungen zu einem Abschluss kommen.
Ist die Europäische Union für uns Kinder auch interessant?
Für euch ist die Europäische Union ganz wichtig, weil die Länder, die in der EU sind, vereinbart haben, gemeinsam den Weg in die Zukunft zu gehen. Und es ist gerade für euch als junge Menschen so wichtig, dass wir in Europa in Frieden miteinander leben. In jeder Generation vor meiner Generation hat es Kriege gegeben. Ich bin im September 1945 geboren, also wenige Monate nach Ende des zweiten Weltkrieges.
Was war das Komischste, was Ihnen bei der Arbeit passiert ist?
Das Komischste war vielleicht ganz am Anfang, 1979, als ich einen Fehler gemacht habe und zu einer schottischen Abgeordneten gesagt habe, sie käme aus England. Da war sie beleidigt. Diesen Fehler habe ich nie wieder gemacht. Und da lernt man dann sehr schnell, wie man in Europa unterscheiden muss. Ein Schotte möchte nicht als Engländer bezeichnet werden, und umgekehrt, Europa ist ganz vielfältig. Da gibt es ganz viele Identitäten, Eigenarten, und dass man das alles auseinander hält, das ist ganz wichtig.
Danke an die Vertretung des Europäischen Parlaments in Berlin für den sehr netten Empfang!
Informationsbüro für Deutschland
Unter den Linden 78 , 10117 Berlin
Interview: Emilia, David, André und Merouane
Zeichnungen:
Text, Zeichnungen und Fotos: © Böser Wolf - eEducation Masterplan Projekt
- Januar 2007