Mit Frau Merkel spreche ich natürlich deutsch

  

  Der französische Premierminister Jean-Marc Ayrault beantwortet die Fragen

von Chloé, Emil, Emmanuelle und Ulysse, Schülerreporter des Bösen Wolfs

 

 

Warum wollten Sie Deutschlehrer werden?
Weil die Sprache mir gefiel, mich berührte, und weil ich Lust hatte, sie zu lernen und danach einen Beruf daraus zu machen. Wenn man eine Sprache lernt, hat man auch Interesse an der Kultur, an der Zivilisation, an den Traditionen, an den Menschen. Ich habe also Deutschland kennen gelernt, die Deutschen kennen gelernt. Und das ist etwas, was einen reicher macht. Das kennt ihr, denn ihr seid auch Franzosen und wohnt in Berlin.

 

Erleichtert es Ihre Arbeit in den internationalen Beziehungen, dass Sie deutsch sprechen?
Es vereinfacht auf jeden Fall die Beziehungen mit den Deutschsprachigen. Das gilt für Deutschland, wenn man mit den führenden Politikern, mit der Kanzlerin, mit manchen Ministern spricht. Es gilt auch für Österreich. Ich kenne den Kanzler Faymann, den ich mehrmals getroffen habe. Mit ihm spreche ich natürlich deutsch.

Sie sprechen also deutsch mit Frau Merkel?
Ja, ich hatte ein Gespräch mit ihr, ein „tête-à-tête“, also unter vier Augen, seht ihr, wie subtil Sprachen sind. Auf Deutsch heißt es nicht „von Kopf zu Kopf“ sondern „unter vier Augen“. Ich hatte also dieses Vergnügen, das Gespräch direkt ohne Dolmetscher zu führen.

Haben Sie ein deutsches Lieblingswort?
Was ich mag, ist „Heimat“. Es ist nicht nur der Geburtsort, es ist auch eine Art von Vertrautheit, von Bindung. Dann gibt es ein anderes, ziemlich originelles Wort, das man ins Französische nur schwer übersetzen kann: das Wort „Sehnsucht“. Es ist ein sehr schönes, nostalgisches, ein wenig sentimentales Wort. Und dann „Gemütlichkeit“. Das ist sehr besonders und praktisch nicht zu übersetzen. Es sagt aber alles, wenn man Deutschland ein wenig kennt: Die Gemütlichkeit.



Und was ist typisch deutsch für Sie?
Es gibt vieles, aber das zum Beispiel, die Gemütlichkeit. Typisch deutsch ist auch, sich gern zusammenzusetzen, sich außerhalb zu treffen. Zum Beispiel am Stammtisch in einer Kneipe, das ist typisch deutsch. Und dann gibt es natürlich noch viele andere Dinge.


Was bedeutet die deutsch-französische Freundschaft für Sie?
Das ist die Grundlage. Zuerst war es die Basis für den Aufbau Europas, denn ohne deutsch-französische Versöhnung wäre nichts möglich gewesen, ebenso wie sich Deutschland danach mit Polen versöhnt hat. Heute bilden Deutschland und Frankreich die Basis für den Aufbau Europas, nicht allein, nicht, um unsere Sicht anderen Ländern aufzuzwingen. Aber die Geschichte weist uns diesen Weg dahin.

 

 

Interview: Chloé, Emil, Emmanuelle & Ulysse

Zeichnungen: Alina und Gaïa

Text, Zeichnungen und Fotos: © Böser Wolf

- November 2012

vers la page française