vers la page française
po polsku
deutsche Seite
Retour - Zurück - Powrót

 

100 Jahre danach : Fragen über Europa

Die Schülerreporter des Bösen Wolfes haben mit Promis gesprochen

Die Länder müssen zusammenhalten...

Simone Veil, erste Präsidentin des Europäischen Parlaments

Ist Versöhnung etwas Bedeutendes für Sie im Leben?

Ja, sehr wichtig, weil Versöhnung die einzige Möglichkeit ist, einen neuen Krieg zu verhindern.

Das ist das erste Mal, dass es während einer so langen Periode von fast 70 Jahren keinen Krieg zwischen europäischen Ländern gab. Krieg ist grauenhaft. Auf beiden Seiten muss man kämpfen und sich gegenseitig töten. Es gibt da den sehr schönen Film „Merry Christmas”. Am Heiligabend 1914 haben die französischen, deutschen und schottischen Soldaten gesagt: „Wir machen eine Waffenruhe." Und am nächsten Tag haben sie weiter gekämpft und sich gegenseitig umgebracht. Denkt an die vielen Kinder, die zu Waisen wurden, an die vielen Menschen, die mit sehr schweren Verletzungen zurückblieben oder für immer durch ihre Erlebnisse verstört wurden – Generationen wurden vom Krieg für das Leben sehr geprägt.
Das Beispiel, das die Europäer nach 1945 geliefert haben, wird die Geschichte für immer kennzeichnen, nachdem sie sich so lange bekämpft und gegenseitig umgebracht haben.

Daniel Brühl, Schauspieler

Sie haben den Wehrdienst verweigert. Wie ist es dann, wenn man wie in „Merry Christmas“ einen Soldaten spielt?

Zum Glück spiele ich in dem Film jemanden, der auch irgendwann daran zweifelt. Aber am Anfang ist er ein überzeugter Soldat.

Ich habe dann Bücher gelesen aus der Zeit, wo junge Männer erklären, mit was für einer Faszination und Freude sie da in den Krieg gezogen sind, um ihr Land zu verteidigen. So war das damals für viele. Es gibt Rollen, die sind näher an einem dran. Und solche, zu denen man einen Abstand hat. Und das war so eine Rolle.

Ist es nicht seltsam,, sich in den Schützengräben zu bewegen?

Ja. Das war ganz schrecklich, weil es so echt nachgebaut war, mit den originalen Abständen und Maßen. Zum ersten Mal kapiert man, wie nah die beieinander waren, so dass du deinen Gegner in die Augen geschaut hast. Das muss wahnsinnig brutal gewesen sein. Und weil wir, die Schauspieler, vorher alle Wehrdienstverweigerer waren, hatten wir einen Kurs bei der Bundeswehr in Berlin.

Wir mussten, wie Clowns, diese alten Uniformen aus dem Ersten Weltkrieg anziehen, konnten alle nicht marschieren. Wir wurden nur ausgelacht von den echten jungen Soldaten, die an uns vorbeigingen und sagten: Was ist das für eine Truppe mit so Uniformen aus dem Ersten Weltkrieg und die gehen alle krumm und schief, können alle gar nichts. Das war sehr albern. Jede Schauspielertruppe hat es in ihrem Land gemacht. Ich glaube aber, wir Deutschen hatten das blöde Los, weil wir stundenlang Referate über Waffen aus dem Ersten Weltkrieg hören mussten.

Wenn Sie jemanden wie in „Merry Christmas“ spielen, hilft es Ihnen, diese Zeit besser zu verstehen?

Ja. Man lernt auf jeden Fall immer etwas. Das ist auch das Tolle an dem Beruf. Dass man etwas aus der Zeit mitnehmen kann. Auch viele Sachen, die ich nicht

wusste, dass die verfeindeten Soldaten sich über Weihnachten vertragen haben und da zusammen Fußball gespielt haben. Das war in Frankreich und in England viel bekannter als hier in Deutschland. Das haben wir in der Schule nie gelernt.

Helmut Schmidt, ehemaliger Bundeskanzler Deutschlands

Hat man schon über Europa gesprochen, als Sie ein Kind waren?

Nein.

War früher der Krieg das Wichtigste?

Nein. Auch nicht das Zweitwichtigste. Es spielte keine große Rolle, und wenn, dann war der Krieg etwas Schlimmes.
Aber der Erste Weltkrieg lag, als ich ein Kind war, lange zurück. Und ich selber habe davon keine eigene Erinnerung, denn ich bin am Ende des Ersten Krieges geboren.

Valéry Giscard d’Estaing, ehemaliger Staatspräsident Frankreichs

Hat man bei Ihnen zu Hause schon über Europa gesprochen, als Sie ein Kind waren?

Nicht so wie heute. Als ich so alt war wie ihr, hatten alle Angst vor einem Krieg, alle Zeitungen sprachen darüber. Als er ausbrach, war ich 13, also kaum etwas älter als ihr jetzt.

Waren Sie Soldat?

Ich war im Zweiten Weltkrieg Soldat, aber nur anderthalb Jahre lang, bis zum Ende des Krieges. Ich habe damals viele Fotos gemacht: als wir den Rhein überquerten und auch vom Schwarzwald…

Haben Sie damals Tagebuch geschrieben?

Nein. Ich habe nichts aufgeschrieben, vielleicht tue ich das noch eines Tages.

Jerzy Margański, Botschafter der Republik Polen in Deutschland

Ich bin 10 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. Es war ein Krieg, der in Polen einen dramatischen Verlauf nahm und Folgen hinterließ. Das war das Hauptthema im Unterricht in der Schule, auch in Familien. Immer wieder hörte ich vom Ersten Weltkrieg, der Bruder meines Großvaters war im Krieg, er war Soldat der russischen Armee und kämpfte gegen die Österreicher. Mein Großvater hat erzählt, wenn seine Truppe Gefangene von der österreichischen Armee nahmen, haben sie festgestellt, dass es darunter Soldaten gab, die polnisch sprachen. Den polnischen Staat gab es damals nicht, Polen war zwar bis Ende des 18. Jahrhunderts eins der größten Länder Europas, es hatte dann aber die Souveränität verloren und wurde zwischen Deutschland, Russland und Österreich-Ungarn aufgeteilt.

Maurice Gourdault-Montagne, französischer Botschafter in Berlin

Ich denke, dass wir nicht vergessen dürfen, dass wir von ganz weit herkommen. Ich werde euch eine kleine Anekdote erzählen. Als ich 17 war, habe ich meiner Großmutter gesagt, dass ich sie mit einem deutschen Freund besuchen würde. Meine Großmutter war während des Ersten Weltkriegs vier Jahre lang Krankenschwester gewesen. Sie arbeitete als Freiwillige in einem Bahnhof in Paris, wo die Verwundeten von der Front eintrafen Diese Soldaten hätten ihr Bruder, ihr Onkel oder ihr Vater sein können. Meine Oma mochte mich, sie konnte nicht nein sagen, so sagte sie zu mir, bring deinen Deutschen mit. Ich kam mit meinem Freund und wir aßen zusammen. Meine Oma war sehr freundlich zu ihm. Es lief wirklich gut. Danach sagte sie mir: Weißt du, hätte man mir gesagt, eines Tages würde mein Enkelkind einen Deutschen zum Essen bei mir einladen, das hätte ich niemals geglaubt. Von so weit her kommen wir. Deshalb ist für mich die deutsch-französische Freundschaft so kostbar.

Stephan Steinlein, Staatssekretär des Auswärtigen Amts in Deutschland

Meine Familiengeschichte ist mit dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg eng verbunden. Mein Großvater hat im Ersten Weltkrieg gekämpft, und mein Vater hat im Zweiten Weltkrieg gekämpft. Mein Großvater, – ich habe noch Bilder davon - war Offizier der kaiserlich deutschen Armee an der damaligen Ostfront, und er war Offizier der kaiserlich deutschen Armee an der Westfront. Und es gibt da so ein Bild, was ich noch habe, wo er im Unterstand sitzt. Mein Vater ist dann im Zweiten Weltkrieg am ersten Tag des Krieges mit der deutschen Wehrmacht in Polen einmarschiert, und war dann als Soldat in Frankreich. Und insofern verbinden sich mit den beiden Generationen vor mir sowohl Frankreich als auch Polen beide Male im Krieg. Und ich kann jetzt beide Sprachen jedenfalls einigermaßen sprechen, und liebe beide Länder. Das ist doch ein großer Fortschritt!

Ulrich Wickert, Journalist

Was würden Sie mitnehmen, wenn sie in den Krieg ziehen müssten? Handy oder Notizblock?

Ich kann mir nur schwer vorstellen, was ich mitnehmen würde. Eine Flasche Wein oder so. Ich würde mich auf einen Hügel setzen, das Ganze von oben betrachten und denken: „Die sind doch völlig verrückt!“

Wäre ein Krieg in Europa denkbar?

Momentan kann ich mir nicht vorstellen, wer einen Krieg anzetteln würde und wer es sich leisten könnte. Und überhaupt müsste es ja zuerst einmal einen Grund für einen Krieg geben. Nein, ich sehe wirklich keinen Grund. Europa ist sehr weit entwickelt, so dass sich jeder durch einen Krieg nur selbst schaden würde. Wenn man an 1914 zurückdenkt, stellt man fest, dass in den Köpfen der Deutschen, Franzosen, Briten und Russen nationalistische Ideen stark verankert waren. Und ich glaube, das Problem ist, dass sie nie damit gerechnet haben, dass es so enden würde. Die Generäle haben gesagt, der Konflikt wäre nach ein paar Wochen vorbei.

Patrick Cohen, Journalist

Ich kann mir nicht vorstellen, an einem Krieg teilzunehmen. Zudem handelt es sich hier um Perspektiven, die einem mittlerweile veraltet vorkommen: Kriege mit Bodentruppen und Panzern, wie es sie gab, gehören der Vergangenheit an.

Wäre ein Krieg in Europa heute möglich?

Nein, das ist für mich undenkbar, schlicht und einfach unvorstellbar. Aber das haben die Staatsoberhäupter im Sommer 1914 auch gesagt: wenn es Krieg gäbe, würde dieser kurz sein. Denn die Auswirkung der Gewalt wäre so groß, dass man einen länger andauernden Krieg nicht aushalten könnte. Und dann hat es vier Jahre gedauert, sogar mehr als vier Jahre.

Markus Ingenlath, Deutsch-Französisches Jugendwerk

Die Länder müssen zusammenhalten, das ist klar. Frankreich und Deutschland können nicht einfach ohne Absprache mit den anderen EU-Ländern handeln.

Wäre ein Krieg mit Russland möglich?

Es steht im Interesse Russlands, ein gutes Verhältnis zur EU zu pflegen. Ein Krieg ist undenkbar, weil beide wirtschaftlich stark miteinander verbunden sind. Man muss jedoch sehr darauf achten, dass die EU-Staaten zusammenhalten und sich nicht spalten lassen. Man muss gemeinsam handeln. . Ich freue mich sehr, dass die Außenministerien Frankreichs, Polens – das ja als Nachbarland der Ukraine stark betroffen ist – und Deutschlands, also das Weimarer Dreieck, zusammenarbeiten.

Wolfgang Schäuble, Finanzminister Deutschlands

Was könnte man in Europa verbessern?

Oh, vieles! Europa könnte eine noch größere Rolle in der Welt spielen, wenn es jedoch ein bisschen einiger sein würde. Andererseits müssen wir auch darauf achten, dass wir nicht alles "europäisch"

anfertigen. Franzosen bleiben Franzosen, Italiener bleiben Italiener, Polen bleiben Polen, Deutsche bleiben Deutsche. Man muss zuerst feststellen, was wir in Europa gemeinsam brauchen, und was jeder für sich selbst machen wird. Wir wollen ja nicht alle gleich werden.

Warum ist Europa für Sie wichtig?

Alleine kann keiner von uns in dieser Welt, wo wir immer enger zusammenwachsen, mit den vielen Problemen, die es gibt, viel wirken. Gemeinsam aber kann Europa sehr viel zustande bringen.

Julia Jentsch, Schauspielerin

Was halten Sie von der EU?

Ja, dass man leichter von einem europäischen Land ins andere reisen kann, dass die Währungen jetzt gleich sind... sehr praktisch. Wie das politisch so richtig funktioniert, kann ich mir manchmal nicht so leicht vorstellen. Aber das Bild, diese Idealvorstellung, dass die Länder auch wirklich mehr gemeinsam entscheiden und zusammenwachsen, und es die Menschen einfacher haben, da zu arbeiten oder da, und von einem Land ins andere zu ziehen, das finde ich toll.

Emmanuel Suard, Kulturattaché der französischen Botschaft in Berlin

Wäre ein Krieg in Europa heutzutage möglich?

Nein, in der Europäischen Union wohl kaum. Denn auch, wenn der Krieg etwas ist, was uns nicht fremd ist, haben wir gelernt, miteinander zu leben. Ich glaube nicht, dass es zum Krieg kommen könnte. Höchstens zur Gleichgültigkeit, was wirklich schade wäre.

Auszüge aus Interviews der Jungreporter des Bösen Wölfes: Alina, Anastasia, Chloé, Dagmara, David, Emil, Emilia, Emmanuelle, Gaia, Leopold, Nils, Sidney und Ulysse

Fotos: Grand méchant loup

© Grand méchant loup | Août 2014