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Die Turbinen aus Potsdam sind sehr europäisch

Ein Interview mit der grünen Europa-Abgeordneten

Elisabeth Schroedter

 

Die Europa-Abgeordnete Elisabeth Schroedter, Fraktion die Grünen, hat uns in der Redaktion besucht und sich den Fragen der Bösen Wölfe gestellt.

Hier kannst du Spannendes über folgende Themen lesen: 

1.  Kindheit in der DDR >>>

    2. ... bis die Mauer fiel >>>

              3.  Warum wird man Europa-Abgeordnete >>>

                          4.  Brandenburg und Europa >>>

 5. Die Sprachen im Parlament >>>

      6.  Fußball, Fernsehen und Turbine Potsdam >>>

          7.  Haben Sie eine Frage an uns? >>>

Alle Fotos: © Grand méchant loup | Böser Wolf               

 

Kindheit in der DDR

Warum sind Sie Politikerin geworden?

Ich komme aus einem oppositionellen Elternhaus in der DDR. Solche Eltern und Kinder hatten es damals schwer. Wenn man nicht in die vorgeschriebene Organisation gehen wollte, also die Jungen Pioniere, dann ist man sofort abgestempelt worden. Dazu kam, dass meine Eltern auch Gläubige sind. Sie mussten ihre Teilnahme an der kirchlichen Gemeinde rechtfertigen. Sie haben uns ihre Erfahrung übertragen, und darum war ich, von der ersten Klasse an, Oppositionelle in der Schule. Ich hatte es schwer und durfte an vielen Veranstaltungen nicht teilnehmen!

In der Nacht zum 21. August 1968 marschierten etwa eine halbe Million Soldaten der Sowjetunion, Polens, Ungarns und Bulgariens in die Tschechoslowakei ein und besetzten innerhalb von wenigen Stunden alle wichtigen Positionen des Landes. Elisabeth Schroedter war damals 9 Jahre alt.






Konnten Sie das als Kind schon verstehen?

Persönlich habe ich das erst richtig 1968 verstanden, als die Panzer plötzlich durch den Ort fuhren. Ich war neun Jahre alt. Ich bin in der Nähe von Dresden groß geworden und es ist von Prag ganz nah. Wir waren im Urlaub, meine Eltern und wir Kinder waren an verschiedenen Orten. Sie haben uns sofort zurückgeholt. Und sie haben geweint, weil sie Angst hatten, die Lage würde sich noch verschlimmern. In der Schule haben sie uns gesagt, es ist ein Freundschaftsdienst für die Tschechen. Plötzlich war ich in der Situation, dass es zu Hause anders erzählt wurde als in der Schule. Ich bin dann nach Hause gekommen und habe gefragt: Warum heult ihr alle, wenn es ein Freundschaftsdienst an die Tschechen ist?

                                                                                                      

Und was haben Ihre Eltern gesagt?

Da haben meine Eltern mich zum ersten Mal beiseite genommen und haben offen über ihre Meinung mit mir gesprochen. Sie haben gesagt, wenn ich irgendetwas in der Schule sage, kommen sie ins Gefängnis. Von da ab war ich Geheimnisträgerin dieses doppelten Lebens in der Opposition in der DDR. Und ich habe dann meinen eigenen Kampf geführt. Also konnte ich kein Abitur machen und auch nicht Medizin studieren, wie ich das gern gemacht hätte. Es wurde mir aus politischen Gründen verweigert.

                                                                 

... als die Panzer plötzlich durch den Ort fuhren ->

... bis die Mauer fiel                                           

Was haben Sie konkret gemacht?

Ich gehöre zu denjenigen, die 1989 Demos in der DDR organisiert haben, die dann so groß geworden sind, dass das System geplatzt ist. Es gab nur die Entscheidung: entweder wegzugehen, oder selber etwas zu machen, damit es anders wird. Die Idee war, legale Wege zu gehen, und trotzdem dabei Freiheiten zu gewinnen. Ich hatte drei kleine Kinder, und es war schon eine Entscheidung: Wäre man ins Gefängnis gekommen, wäre uns das Erziehungsrecht abgesprochen worden. Dadurch hätten wir die Kinder verloren, das heißt es.

In der Nacht von Donnerstag, dem 9. November, auf Freitag, den 10. November 1989, „fiel“ die Berliner Mauer nach über 28 Jahren Bestehen. Es war unter anderem das Ergebnis der großen Demonstrationen.

Was haben Sie noch gemacht 1989?

Wir haben vieles gemacht, auch Runde Tische organisiert. An den Runden Tischen saßen Teilnehmer aller oppositionellen Kräfte den Vertretern der alten Macht gegenüber, zum ersten Mal waren sie gleichberechtigt. Und aus diesem Organisieren von Politik bin ich nicht mehr rausgekommen.

 

Das Europa-Parlament

Warum wird man Europa-Abgeordnete

Wie sind Sie zum Europäischen Parlament gekommen?

Zwei Menschen aus den oppositionellen Gruppen wurden gesucht, die Erfahrungen aus der Wendezeit hatten – eine davon sollte eine Frau sein, weil Frauen bei den Grünen nicht unterrepräsentiert sein dürfen. Der Vorschlag kam, ich sollte das machen. So bin ich reingekommen.

 

Was kann man im Europa-Parlament bewirken?

Eine ganze Menge. Obwohl die Grünen eine kleine Fraktion sind (die fünftkleinste Partei), können wir trotzdem erreichen, dass ein Beschluss durchkommt. Es ist schon eine Menge geschafft worden, im Bereich Klimapolitik, Verbraucherschutzpolitik oder Gentechnik. Wir können Einfluss nehmen, wenn es uns gelingt, eine Mehrheit zu organisieren.

Was machen Sie genau in Ihrer Arbeit?

Die Leute fragen, was macht ihr für uns, was erreicht ihr. Wir behandeln solche Fragen wie z.B.: Welcher Lohn wird dem polnischen Mitarbeiter bezahlt, wenn eine polnische Firma bei einer deutschen Baustelle arbeitet. Wird er nach polnischem Lohn oder nach dem deutschen bezahlt? Was glaubt ihr?

Na ja. Hier ist Deutschland, also wahrscheinlich nach deutschem Lohn.

Die polnischen Arbeiter arbeiten neben den Deutschen, und wenn die Deutschen das Doppelte bekommen würden, würde das polnische Unternehmen ein günstigeres Angebot machen, auf Kosten der Rechte der Arbeitsnehmer. Deshalb haben wir das so geregelt, gleiche Arbeit für gleichen Lohn am gleichen Ort. Es gibt unglaublich viel zu regeln und zu entscheiden, damit nicht geschummelt wird.

Und wenn man in verschiedenen Ländern arbeitet oder studieren will?

Ihr sprecht zwei Sprachen, zum Beispiel. Wie ist es, wenn ihr später mal drei Monate in Frankreich, dann wieder in Deutschland seid. Wie ist es mit der Rentenversicherung oder mit den Arbeitsrechten? Wer zahlt, wenn man mobil ist? Auch beim Arbeitslosengeld? Solche Fragen versuchen wir zu regeln.

Brandenburg und Europa

Sind Sie die einzige Europa-Abgeordnete aus Brandenburg?

Nee, wir sind im Moment vier: Einer von der CDU, ein SPD-Abgeordneter, einer von der PDS und ich. Eigentlich ist mein ganzes Gebiet Deutschland, nicht nur Brandenburg.

                                                                                                                                                  -> Die Flagge von Brandenburg

Wie ist es, dauernd den Wohnort zu wechseln?                               

Meine Wurzeln sind in Brandenburg. Ich habe meine Kinder hier großgezogen. Deshalb habe ich auch versucht, meine Zeit in Brüssel so kompakt wie möglich zu verbringen, und das ist bis heute noch so.

Wenn Sie zurück in Brandenburg sind, müssen Sie auch da arbeiten?

Ja, natürlich. Ich muss auch über meine Arbeit berichten. Heute zum Beispiel war ich bei einer Kranzniederlegung in Sachsenhausen, am ehemaligen KZ-Außenlager Klinkerwerk. Es war ein Arbeitslager für Sinti und Roma, für Homosexuelle, für Polen, auch für Franzosen. Es wird oft vernachlässigt, weil es eine Außenstelle war.

Was tut Europa für Brandenburg?

Also, was ich für Brandenburg tue? Als Brandenburgerin denke ich die Probleme der Brandenburger mit.    Z. B., es ist nicht gut für Brandenburg, wenn es eine Grenze gibt, die die Arbeitnehmer nicht überschreiten dürfen. Oder in Brandenburg gibt es noch sehr viel Arbeitslosigkeit und in der EU gibt es gute Förderungen, um diese Arbeitslosigkeit abzubauen. Da gucke ich mit, dass es dort auch wirklich passiert.

Sind Sie in Brandenburg bekannt?

Ja, schon. Weil ich mich sehr in die Landespolitik einmische und das immer verbinde. Wenn in Brandenburg die Gesetze aus der EU nicht umgesetzt werden, dann sage ich das schon sehr laut.

Werden Sie auch auf der Straße erkannt?

In Brandenburg sehr, aber manchmal kommt es auch in Berlin vor. Ich fahre immer mit öffentlichen Verkehrsmitteln und das hat den Vorteil, dass man viele Leute trifft. Ich werde angesprochen und habe Zeit zu antworten.

Die Sprachen im Europa-Parlament

Werden alle Sprachen übersetzt?

Beim Europäischen Parlament ist jede Sprache gleich. Es ist auch wichtig zu übersetzen, damit die Leute aus jedem Land wissen, was da gemacht wird. Es kostet zwar verdammt viel Geld, aber es lässt sich nicht ändern. Jeder Abgeordnete hat das Recht, seine Muttersprache zu sprechen, weil man sich da am besten ausdrücken kann.

Müssen Abgeordnete zweisprachig sein?

Die Abgeordneten sind ein Abbild der Bevölkerung, also müssen sie nicht zweisprachig sein! Sonst wäre nur ein bestimmter Kreis aus der Bevölkerung im Parlament repräsentiert.

Sprechen Sie auch französisch?

Ich muss sagen, ich hatte meine erste Französischstunde, nachdem ich ins Europa-Parlament gewählt wurde. Ich bemühe mich, bin aber keine gute Schülerin, weil ich sonst zu viel Arbeit habe. So vergesse ich die Wörter, die ich nicht benutze. Ich nehme es mir aber vor.

Fußball, Fernsehen und Turbine Potsdam

Unterstützen Sie auch die Mannschaft von Energie Cottbus, weil sie sehr europäisch ist?

Nee. Ich bin mehr für die Turbinen aus Potsdam, sie sind auch sehr europäisch. Frauenpokale sind ganz wichtig.

Gehen Sie auch ins Stadion?

Nein, ich habe leider keine Zeit, und deshalb habe ich mich auch lange beim Fernsehen beklagt, dass die Frauenspiele nicht übertragen werden.

Finale auch nicht?

Finale schon, aber beim RBB werden die Spiele der Turbinen, die die Topmannschaft ist, nicht übertragen. Für mich ist es ein Zeichen, dass die Gleichberechtigung auch da nicht hergestellt wird. Bei den Männern wird sogar die Zweite Liga übertragen. Es gibt Zeitungen, die die Ergebnisse nicht

mal bringen. Ich muss immer die Ergebnisse im Internet nachschauen.                -> Frauenfußball im Fernsehen

Und warum wird es nicht übertragen?

Weil sie sagen, es bringt nicht so viel Quote. Alle Topspielerinnen können nicht davon leben und haben einen zweiten Beruf. Beim Profifußball spielt Geld immer eine Rolle. Die großartigen Spielerinnen gehen auch weg, sie sind jetzt in Frankfurt am Main, weil sie dort mehr Geld bekommen.

Haben Sie eine Frage an uns?

Welche Erwartung habt ihr an das EU-Parlament?

Es wäre gut, dass die Kinder mehr mitentscheiden können, was in zehn Jahren passiert. Denn es geht um ihre Zukunft.

Interessant, da sollte man darüber nachdenken. Es gibt ein Jugendparlament, aber es ist mehr ein Spiel „Ihr dürft testen, wie es funktioniert“. Aber auf kommunaler Ebene gibt es eine Regelung, wo eine gewisse Mitentscheidung möglich ist. Man könnte sagen, es gibt ein Jugendparlament, und was da gemacht wird, könnte man nicht einfach vom Tisch wischen.

Es wäre gut, wenn es mehr Möglichkeiten geben würde zu studieren...

Es ist aber nicht eine Frage an die EU, sondern an die Länder, an die Haushälter der Länder. Dass sie mehr Geld in die Bildung und weniger in die Straßen investieren. 

Und wenn man nicht nur mit einem Eins einen Studiumplatz bekommen würde!

Das ist tatsächlich eine wichtige Frage für ganz Europa.

 

   

 

Interview von Alina, David und Anastasia (12 Jahre alt)
Text & Fotos: © Grand méchant loup | Böser Wolf – 2007 - www.boeser-wolf.schule.de