Ein Land mit einem einzigen Begriff abzustempeln
ist ziemlich gefährlich

Ein Interview der Kinderreporter des Bösen Wolfes mit Jerzy Margański,

Botschafter der Republik Polen in Deutschland


 

Können Sie uns erklären, was Sie als Botschafter machen?

Die wichtigste Aufgabe eines Botschafters ist es, sich um die hohe Qualität der Beziehungen in dem Gastgeberland zu kümmern. Das ist auch meine wichtigste Aufgabe. Wir knüpfen Kontakte an, wir sprechen mit Politikern und Wirtschaftsleuten. Wir versuchen auch Polen in Deutschland zu präsentieren, als ein Land, das attraktiv und interessant ist, mit dem es gut ist, zusammen zu arbeiten. Wir bekommen auch immer wieder Besucher aus Polen, es sind Politiker, Businessleute. Und das nimmt schon viel Zeit in Anspruch.

Was mögen Sie an Ihrem Beruf?
Das ist ein sehr interessanter, vielfältiger Beruf, weil man sich als Diplomat mit verschiedenen Fragen befassen muss: mit der Politik, mit der Wirtschaft, auch viel mit der Kultur. Unsere Botschaft ist in dieser Beziehung sehr aktiv, wir organisieren Konzerte, Diskussionen. Man kann in diesem Beruf auch gut seine persönlichen Interessen gelten lassen.

Was mögen Sie nicht an Ihrem Beruf?

Dass ich zu wenig Zeit habe. Aber wenn die Arbeit als Diplomat wie in einem Land wie Deutschland so spannend ist, dann hat man zu wenig Zeit, aber andererseits ist es ein Zeichen, wie intensiv die Beziehungen beider Länder sind.

 

Was fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie an Deutschland denken?
Also, ein Land mit einem einzigen Begriff abzustempeln ist ziemlich gefährlich. Was mich mit Deutschland verbunden hat, war die Kultur, die Philosophie, damit habe ich mich lange Zeit befasst.

Und was verbinden Sie mit Frankreich und Polen?


Wenn ich jetzt drei Begriffe für Deutschland, Frankreich und Polen nennen sollte, an denen man die Unterschiede zeigen könnte, dann würde ich sagen: mit Frankreich verbinde ich Kultur oder eher Kunst als Symbol. Im 20. Jahrhundert findet sich kaum ein berühmter europäischer Künstler, der nicht in Paris gelebt hätte.


Wenn ich ein bisschen nachdenke, womit man Deutschland in der Welt am meisten assoziiert, würde ich sagen Technik. Deutschland war immer ein Land, wo die wichtigsten Entdeckungen gemacht worden sind.
Und bei Polen würde ich sagen, die Romantik. Das ist kennzeichnend für die Polen. Da kann man Facetten finden, die die Polen von anderen Völkern unterscheiden.

 

 

Was bedeutet für Sie die deutsch-französisch-polnische Freundschaft? Was kann man tun, um sie zu pflegen?
Die deutsch-französisch-polnische Freundschaft ist wichtig für die drei Länder aber auch für Europa. Wir arbeiten immer enger zusammen und in der europäischen Politik ist die gemeinsame Stimme dieser drei Länder bereits hörbar. Wir werden bestimmt mehr machen müssen, zum Beispiel beim Jugendaustausch, der sich zwischen Polen und Deutschland sehr rege entwickelt hat, und wir werden es mehr nach Frankreich ausweiten.


Warum sind Polen daran interessiert, in Deutschland zu leben?
Es gibt eine traditionelle polnische Emigration, die bereits seit dem 19. Jahrhundert im westlichen Teil von Deutschland lebt. Deshalb hört man dort auch polnisch geprägte Wörter, und polnische Namen sieht man oft auch in Telefonbüchern. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist eine große Gruppe von Polen in Deutschland geblieben. Nach der großen Welle der Emigration aus Polen nach Deutschland in den 90er Jahren ist das Interesse, nach Deutschland umzusiedeln, viel geringer geworden. Polen, die hier leben, etablieren sich sehr gut und fühlen sich wohl.

 

Bei einer Befragung französischer Schüler fiel niemandem etwas zu Polen ein, außer natürlich Robert Lewandowski, der Fußballer. Wie kann man die Leute dazu bringen, sich mehr für Polen zu interessieren?


Man muss mehr Leute zueinander bringen. In Deutschland geschieht das schon. Polen ist jetzt das wichtigste Ziel der deutschen Touristen bei Kurzreisen geworden. Die Kontakte sind sehr eng geworden. Mit Frankreich müssen wir noch dran arbeiten.

 

 

Was können Deutsche und Franzosen von den Polen lernen?
Was in der Tat interessant sein könnte, ist der Unternehmergeist der Polen. Die Fähigkeiten der Polen zu improvisieren sind bekannt und obwohl die wirtschaftliche Lage sich seit zehn Jahren in der EU stabilisiert hat, ist es weiterhin eine Eigenschaft, die nicht nur in Polen, sondern auch in anderen europäischen Ländern sehr gut gebraucht werden kann.

Was können Polen von den Deutschen und Franzosen lernen?
Von den Deutschen können sie Pünktlichkeit lernen, und ein bisschen Ordnung würde uns auch nicht schaden. Ich glaube, wir lernen auch immer mehr voneinander: die Polen von den Deutschen und die Deutschen von den Polen. Dadurch, dass viele Polen in Deutschland leben und dass viele Deutsche nach Polen kommen, um dort zu arbeiten entsteht eine interessante Mischung aus Kreativität und Solidität.

 

Wir machen ein Projekt im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg. Was verbinden Sie persönlich mit dem Ersten Weltkrieg – sprach man in Ihrer Familie darüber?


Ich bin 10 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. Es war ein Krieg, der in Polen einen dramatischen Verlauf nahm und Folgen hinterließ. Das war das Hauptthema im Unterricht in der Schule, auch in Familien. Immer wieder hörte ich vom Ersten Weltkrieg, der Bruder meines Großvaters war im Krieg, er war Soldat der russischen Armee und kämpfte gegen die Österreicher. Mein Großvater hat erzählt, wenn seine Truppe Gefangene von der österreichischen Armee nahmen, haben sie festgestellt, dass es darunter Soldaten gab, die polnisch sprachen. Den polnischen Staat gab es damals nicht, Polen war zwar bis Ende des 18. Jahrhunderts eins der größten Länder Europas, es hatte dann aber die Souveränität verloren und wurde zwischen Deutschland, Russland und Österreich-Ungarn aufgeteilt.

Was passierte dann bei einem Krieg?

Im Ersten Weltkrieg kämpften Polen deshalb sowohl in der deutschen als auch in der russischen und der österreichischen Armee. Es gibt auch Familien, wo Mitglieder gegeneinander gekämpft haben. Es war eine traumatische Erfahrung, auch in der Familie meines Großvaters.

In Frankreich hat der 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs eine große Bedeutung. Ist es in Polen auch so?
Nicht nur der Anfang des Ersten Weltkriegs, sondern auch das Ende spielt eine Rolle. Weil Polen infolge des Krieges die Souveränität wieder errungen hat. Der Erste Weltkrieg spielte sich zum größten Teil auf polnischem Boden ab. Es gibt noch heute Spuren dieses Krieges. Es gibt auch große Friedhöfe, auf denen Soldaten der drei Armeen begraben sind. Dieser Krieg ist sehr tief in unserer Geschichte, verwurzelt.

 

Was bedeutet der 11. November für Polen?
Polen gehört zu den Ländern, zu den Völkern in Europa, die infolge dieses Krieges eine Eigenstaatlichkeit gefunden haben. Wir feiern das Ende des Ersten Weltkrieges als unseren Nationalfeiertag. Es ist für uns ein großes Ereignis.

Wenn Sie in den Krieg ziehen müssten, was würden Sie mitnehmen: Ein Handy, ein Laptop, ein Tablet oder ein Notizheft mit einem Stift?


Irgendwie sympathisiere ich mit dem Bleistift und dem Notizbuch. Weil man sich – ich nehme es an – im Krieg in einer außergewöhnlichen Situation befindet, in einer gefährlichen Lage, herausgerissen aus der normalen Umgebung, dem normalen Leben. Es ist eine traumatische Erfahrung, die sich wahrscheinlich lohnt zu analysieren. Wenn man in den Krieg geht, hat man wenig Möglichkeiten selbst zu entscheiden, was man mitbringen darf. Es wird einem gesagt, was man mitnehmen muss, um sein Leben zu retten und kämpfen zu können.

Was würden Sie mit dem Notizheft machen?
Ich würde versuchen, das was um mich herum und mit mir geschieht zu beschreiben und zu analysieren. Aber ich denke, dass man die Zeit dazu nicht hat. Es gab gerade im Ersten Weltkrieg Dichter, die im Schützengraben Gedichte geschrieben haben. Georg Trakl zum Beispiel. Aber das kann man nur als etwas Außergewöhnliches betrachten. Und gerade im Zusammenhang mit einem Krieg denkt man nicht unbedingt, dass man Zeit, Lust und Möglichkeiten haben wird, das, was geschieht zu analysieren und zu beschreiben.

Wie sehen Sie Polens Zukunft innerhalb der EU?


Ich wünsche mir, dass die Position Polens in der EU noch stärker wird, dass Polen sich an wichtigen Debatten beteiligt, die in der EU stattfinden, zu Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Energieversorgung.
Ich wünsche mir auch, dass Europa weiter wächst, dass wir zusammenhalten, auch in schwierigen Zeiten, wie in den letzten Jahren mit der Finanzkrise und dass Polen dabei eine positive Rolle erfüllt.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Lesen Sie, machen Sie Sport?
Ihr erinnert mich daran, dass ich erst seit ungefähr zwei Monaten mein erstes freies Wochenende haben werde! Ich lese, höre Musik, laufe und ich fahre Rad. Ich mache gern Fahrradtouren. Das werde ich dieses Wochenende tun. Berlin bietet sonst fantastische Möglichkeiten, es gibt unzählige Galerien, Konzerte, Ecken, wo es sich wirklich lohnt hinzugehen. Ich mag auch einfach ziellos durch die Stadt gehen. Berlin ist in dieser Hinsicht deshalb interessant, weil es eine sehr vielfältige Stadt ist.

 

 

 

 

 

 

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Interview: Dagmara, Gaїa und Leopold (Schülerrredaktion Grand méchant loup)

Zeichnungen: Felix und Léon   (Schülerredaktion Grand méchant loup)

© Grand méchant loup | Mai 2014